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Anthropophagische Übersetzungspraxis III – Der Literaturnobelpreis 2020: ein großes Glück?

Endlich neigt sich dieses selt­same und tur­bu­lente Jahr 2020 seinem Ende zu und mit ihm diese Kolumne. Auch lit­er­arisch ist in diesem Jahr eine Menge passiert, obwohl es sich vielle­icht nicht so anfühlt ohne Lesun­gen vor echtem Pub­likum, (fast) ohne Buchmessen und ohne Preisver­lei­hun­gen in Anwe­sen­heit der­jeni­gen, die geehrt wer­den. Zu den inter­es­san­testen Ereignis­sen in der Welt der Lit­er­atur gehörte die Ver­gabe des diesjähri­gen Nobel­preis­es. Nach dem Skan­dal von 2018 rund um Kata­ri­na Frosten­son, der zum Rück­tritt zahlre­ich­er Akademiemit­glieder führte, war die diesjährige Preisträgerin eine Riesenüber­raschung. Kein­er der Namen, die auf den semi-offiziellen Short­lists standen, wurde verkün­det, son­dern ein­er, der wohl nur in lyrikaffinen Exper­tin­nenkreisen (gener­isches Fem­i­ninum, wie immer) bekan­nt gewe­sen sein dürfte: Louise Glück. In den USA ist Glück eine etablierte Lyrik­erin und Essay­istin, deren Werk in den let­zten fünf Jahrzehn­ten mehrfach prämiert wurde. Es umfasst ins­ge­samt 16 pub­lizierte Gedicht­bände und poe­t­ol­o­gis­che Essays. Aber wie immer möchte ich mich nicht zu sehr bei Autorin­nen aufhal­ten – obwohl es sich in dem Fall dur­chaus lohnen würde – son­dern den Blick auf die Über­set­zerin richt­en. Auf Deutsch erschienen bis­lang die Gedicht­bände Aver­no (2007, engl. Aver­no, 2006), Wilde Iris (2008, engl. The Wild Iris, 1992), neben einzel­nen Gedicht­en in Lit­er­aturzeitschriften, alle über­set­zt von Ulrike Draes­ner.

Zwischenspiel: alternde Übersetzungen versus ewig junge „Originale“

Dies­mal nehme ich einen Kom­men­tar unter der let­zten Kolumne zum Anlass, um über einen Gemein­platz zu schreiben, der immer wieder beim Sprechen bzw. Schreiben über das Über­set­zen auf­taucht: alternde Über­set­zun­gen. Konkret bezieht sich die Kom­men­ta­torin auf ein Zitat von Michi Straus­feld. In dem zitierten Inter­view ging es um den ver­stor­be­nen Über­set­zer Curt Mey­er-Cla­son, und auf die Frage hin, wie die langjährige auf Lateinameri­ka spezial­isierte Lek­torin Mey­er-Cla­sons Über­set­zun­gen in der Rückschau bew­erte, antwortet sie, das Prob­lem an vie­len Über­set­zun­gen sei, dass sie alterten. Und zwar im Gegen­satz zu „Orig­i­nalen“.

Anthropophagische Übersetzungspraxis II: Der Übersetzer als „Zwillingsbruder des Autors“?

Die Fig­ur, um die es in dieser Kolumne gehen soll, ist ein­er­seits ein­er der bekan­ntesten Über­set­zer aus dem Por­tugiesis­chen und Spanis­chen, gle­ichzeit­ig aber nicht unum­strit­ten. Beson­ders die späten Über­set­zun­gen von Curt Mey­er-Cla­son wur­den vielfach kri­tisiert, da sie „zu frei“ seien und dem Aus­gang­s­text „zu fern“. Wieder möchte ich hier aber nicht in die Texte ein­steigen und die handw­erk­liche Arbeit des 2012 ver­stor­be­nen Kol­le­gen beurteilen. Mich inter­essiert vielmehr die Art und Weise, wie der Über­set­zer und Ver­mit­tler namhafter Boom-Autoren und weniger Autorin­nen (spez­i­fis­che Fem­i­ni­na und Maskuli­na, später wird’s wieder gener­isch) aus Lateinameri­ka insze­niert wurde und sich selb­st insze­niert hat. Exem­plar­isch betra­chte ich hierzu drei sein­er Nach­worte zu von ihm über­set­zten Büch­ern und schaue mir ein paar Artikel, Nachrufe und Inter­views an.

Anthropophagische Übersetzungspraxis I: Es soll glitzern!

Über Sicht­barkeit und Unsicht­barkeit von Über­set­zerin­nen (wie immer, gener­isches Fem­i­ninum) habe ich in dieser Kolumne schon einiges geschrieben – bish­er ten­den­ziell eher abstrakt als konkret, eher außer­halb als inner­halb der über­set­zten Büch­er. Dies­mal möchte ich über ein in meinen Augen gelun­ge­nes Beispiel anthro­pophagis­ch­er Über­set­zung­sprax­is bericht­en (wer möchte, kann hier nach­le­sen, was es mit dem Begriff auf sich hat).

Flatten that other curve! Für eine Gemeinwohlökonomie am Buchmarkt

Die aktuelle (ja, doch, sie ist noch immer da) Coro­na-Pan­demie stellte und stellt uns vor eine Menge Her­aus­forderun­gen. Sie bot und bietet aber auch Chan­cen. Chan­cen zum Nach­denken darüber, was gesellschaftlich verbessert wer­den kön­nte. Darüber, was wir wirk­lich brauchen und was kap­i­tal­is­tisch erzeugte Bedarfe für Phan­tasiewe­sen sind, deren Eigen­schaften wir vielle­icht gerne hät­ten, die aber nichts damit zu tun haben, wer wir wirk­lich sind und die nur dazu dienen, Prof­ite zu maximieren. 

(Post-)koloniale Sprachverwerfungen und Produktionsbedingungen: Netflix und die Untertitel

In Pan­demie-Zeit­en kann es schon ein­mal vorkom­men, dass man einen Film, eine Serie oder ein Buch zum zweit­en oder drit­ten Mal in die Hand nimmt. Und so kam es dazu, dass der ganz großar­tige mexikanis­che Film „Roma“ von Afon­so Cuarón, der am 30. August 2018 bei den Film­fest­spie­len in Venedig gezeigt wurde und neben zahlre­ichen Oscar-Nominierun­gen unter anderem einen Gold­en Globe für den besten fremd­sprachi­gen Film erhielt, kür­zlich noch ein­mal bei mir im Heimki­no lief.

Von Repräsentation und Realität

Dieser Tage taucht ver­mehrt ein deutsches Wis­senschafts­gremi­um in den Medi­en auf: die Nationale Akademie der Wis­senschaften Leopold­ina. Erst ein­mal hat das nicht so viel mit dem Über­set­zen zu tun, aber es wird im Lauf des Textes klar wer­den, was es hier soll – versprochen.

Sichtbarkeit und Verantwortung

Was wir ger­ade auf glob­aler Ebene erleben, ist nicht nur psy­chol­o­gisch, son­dern auch kul­turell hochspan­nend. Wir Sprachar­bei­t­erin­nen (Män­ner und Diverse sind wie immer mit­ge­meint) kon­sum­ieren wohl alle gewohn­heitsmäßig Nachricht­en aus unter­schiedlichen Kul­turkreisen, und einige beobacht­en dabei, wie medi­al Wahrheit kon­stru­iert wird, wie sich Diskurse durch reale Ereignisse verän­dern, wie auch Not­si­t­u­a­tio­nen hier und da instru­men­tal­isiert wer­den und welche Regierun­gen und Staatschefs wie ver­ant­wortlich han­deln bzw. sich auf unter­schiedliche Weise aus ihren Pflicht­en her­auslavieren. Es ist in jedem Fall eine äußerst span­nende Zeit.

Das Translatier macht einen Übersatz

Ziem­lich sofort nach­dem ich meinen let­zten Kolum­nen­text abgeschickt hat­te, fiel mir eine Episode oder vielmehr ein Phänomen aus meinem Über­set­zerin­nen­studi­um in Ger­m­er­sheim ein. Gle­ich bei der Ein­führungsver­anstal­tung polterte ein älter­er Herr mit Hut herum, rief die „nachwach­senden Rohstoffe“ auf, nach rechts und links zu schauen mit den Worten „jed­er Zweite wird rein sta­tis­tisch gese­hen das Studi­um in diesem hohen Hause nicht beenden“.